von Energiepreisen zu Dienstleistungen
Inflation ist seit Jahren eines der zentralen Themen in der globalen Wirtschaftspolitik. Nach Jahrzehnten niedriger und stabiler Teuerungsraten brachte die Pandemie, gefolgt vom Krieg in der Ukraine, einen Schock, der die Preise in einem Tempo steigen ließ, das viele Volkswirtschaften seit den 1970er-Jahren nicht mehr erlebt hatten. Doch die Treiber der Inflation haben sich in den letzten Jahren verändert: Während anfangs Energie und Güter die Hauptrolle spielten, verschiebt sich das Gewicht zunehmend hin zu Dienstleistungen, Mieten und Löhnen. Diese Entwicklung zeigt nicht nur die Vielschichtigkeit der Inflation, sondern auch die Herausforderungen für Zentralbanken wie Fed und EZB.
Phase 1: Energie- und Güterinflation
Der erste Inflationsschub nach 2021 hatte klar erkennbare Ursachen. Unterbrochene Lieferketten in der Pandemie, Rohstoffengpässe und eine sprunghaft anziehende Nachfrage nach Konsumgütern führten zu steigenden Preisen. Hinzu kam der russische Angriff auf die Ukraine im Februar 2022, der die Energiepreise in Europa explodieren ließ. Gas und Strom verteuerten sich teils um mehrere Hundert Prozent, Ölpreise schossen nach oben.
Die Folge: zweistellige Inflationsraten in Teilen Europas, besonders in den baltischen Staaten und Deutschland. Diese Phase war stark angebotsgetrieben – es ging weniger um übermäßige Nachfrage, sondern um fehlendes Angebot und Schocks von außen. Entsprechend lautete die Debatte: „Inflation verschwindet, sobald Energiepreise wieder sinken und Lieferketten sich normalisieren.“
Phase 2: Dienstleistungsinflation und Löhne
Ab 2023 änderte sich das Bild. Energiepreise stabilisierten sich, viele Güter verbilligten sich sogar wieder. Doch die Inflation blieb hoch – nun angetrieben von Dienstleistungen. Mieten, Gastronomie, Reisen und Gesundheit verteuerten sich. Ein wesentlicher Faktor: Lohnsteigerungen, die in einem angespannten Arbeitsmarkt durchgesetzt werden konnten.
Besonders in den USA zeigt sich dieses Muster. Der Anteil der Dienstleistungsinflation an der Gesamtteuerung stieg stetig. Während Ölpreise wieder nachgaben, kletterten die Kosten für Wohnen und Gesundheit weiter. Auch in Europa blieb die Kerninflation (ohne Energie und Lebensmittel) hartnäckig hoch.
Diese zweite Phase macht klar: Inflation ist nicht mehr nur das Ergebnis externer Schocks, sondern spiegelt strukturelle Veränderungen wider. Ein enger Arbeitsmarkt, demografischer Wandel und steigende Lohnforderungen sorgen dafür, dass Dienstleistungen dauerhaft teurer werden.
Unterschiedliche Antworten von Fed und EZB
Die Reaktion der Zentralbanken auf diese Verschiebung unterscheidet sich. Die Fed setzte früh und aggressiv auf Zinserhöhungen, um die Nachfrage zu dämpfen und Lohnspiralen zu bremsen. Mit über 5 % Leitzins stieg der Druck auf den US-Immobilienmarkt, während gleichzeitig eine leichte Abkühlung am Arbeitsmarkt sichtbar wurde.
Die EZB agierte langsamer und vorsichtiger. Europas Inflation war stärker energiegetrieben, weshalb man Zinserhöhungen zunächst weniger für wirksam hielt. Doch als die Kerninflation nicht zurückging, zog auch die EZB die Zinsen deutlich an. Gleichzeitig kämpft Europa mit einem schwächeren Wachstum, was die Gratwanderung noch schwieriger macht: Straffe Geldpolitik gegen die Inflation ohne die fragile Konjunktur vollständig abzuwürgen.
Strukturelle Faktoren im Hintergrund
Hinter den kurzfristigen Zyklen verbergen sich langfristige Treiber, die die Inflationslandschaft prägen:
- Demografie: Alternde Gesellschaften in Europa, China und Japan führen zu Fachkräftemangel, steigenden Löhnen und höherem Kostendruck in Pflege und Gesundheit.
- Deglobalisierung: Nach Jahren der Globalisierung steigen geopolitische Spannungen. Lieferketten werden kürzer, Produktion zurückverlagert – das macht vieles teurer.
- Energiewende: Der Umbau zu klimaneutraler Energie verlangt enorme Investitionen in Infrastruktur und Rohstoffe. Kurzfristig führt das zu Preisdruck, langfristig könnte es Kosten senken.
- Technologie (KI, Automatisierung): Hier liegt das Gegengewicht. Wenn KI und Automatisierung tatsächlich Produktivitätsschübe bringen, könnten sie mittelfristig die Teuerung dämpfen. Noch sind die Effekte in den makroökonomischen Daten aber gering.
Fazit: Inflation bleibt, aber sie verändert ihr Gesicht
Die Inflation der Jahre 2021–2022 war vor allem Energie- und angebotsgetrieben. Die Inflation der Gegenwart und Zukunft ist stärker nachfrage- und strukturbasiert, getragen von Dienstleistungen, Mieten und Löhnen. Für Zentralbanken heißt das: klassische Zinspolitik stößt an Grenzen, denn höhere Zinsen können zwar Nachfrage dämpfen, aber nicht Demografie oder geopolitische Spannungen ändern.
Für die Makro-Beobachtung ist wichtig: Inflation bleibt ein zentrales Thema, doch ihre Form hat sich verändert. Wer sie verstehen will, muss über Energiepreise hinausblicken und die tieferliegenden Strukturen betrachten – von Arbeitsmärkten über Demografie bis hin zu technologischen Trends.
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